Ende April sind Thomas und ich nach Sondrio in Norditalien gefahren, um dort eine Woche lang Segelfliegen im Gebirge zu genießen. Sondrio liegt östlich vom Comer See im Veltlin im Addatal, also ein Tal südlich von St.Moritz. Der Flugplatz nahe dem Ort Caiolo liegt 275m hoch, hat eine 1000m lange Asphaltbahn und ist umgeben von einem Golfplatz. Man kann direkt am Platz campen, Sanitäreinrichtungen sind vorhanden. Eigentlich ist der Flugplatz kein Segelflugzentrum, es findet hauptsächlich Motorflugbetrieb statt und ein Rettungshubschrauber ist dort stationiert. Aber regelmäßig im Frühjahr, also im März und April führt die Segelflugschule Oerlinghausen dort Schulungen und Charterbetrieb für Alpenflüge durch. Dann mutiert der Flugplatz zu einem Segelflugzentrum mit einer hervorragenden Infrastruktur. Es steht die ganze Zeit ein Schleppflugzeug mit Pilot zur Verfügung und jeden Morgen gibt es ein ausführliches Wetterbriefing. Solange es nicht regnet, wird eigentlich jeden Tag geflogen. Ob Alpenflug Neuling oder fortgeschrittener Streckenflieger, für jeden hat der Flugplatz ideale Bedingungen. Auch Privatflieger wie Thomas und ich sind mit Ihren eigenen Flugzeugen willkommen.

Wir beide wohnen immer in der Pension Traversi bei Osvaldo im Nachbarort Berbenno. Man kennt sich seit über 20 Jahren, die Atmosphäre ist herzlich und familiär, das Essen hervorragend.

Aber nun zum Fliegen: Der Flugplatz ist für mich der ideale Ausgangspunkt für lange erlebnisreiche Streckenflüge, er ist strategisch perfekt gelegen. Man kann sich von dort aus entweder Richtung Westen bewegen bis ins Aostatal oder sogar noch weiter bis in die französischen Alpen oder man fliegt nach Osten zum Bsp nach Bormio an den Ortler. Sehr schön wird es auch über den Tonale Pass hinweg über das Bozener Becken in die Dolomiten, bei guten Wetterlagen weiter über das Pustatal nach zum Bsp Lienz. Unabhängig von den zu erreichenden Streckenkilometern für die Leistungsflieger ergeben sich immer wieder faszinierende Eindrücke durch die schönen Berglandschaften in unmittelbarer Nähe. Die Berninagruppe direkt vor der „Haustür“ oder der Ortler, die Adamello Gruppe. Wer diese Berge, alle nicht weiter als 70km vom Flugplatz entfernt, mal befliegen durfte, weiß wovon ich rede! Gerade im Frühjahr, wenn diese Berge noch tief verschneit sind, ergeben sich besonders schöne Anblicke auf die Eis- und Gletscherwelt. Auch die Dolomiten mit Ihren besonderen schroffen Felsformationen zu befliegen bedeutet für mich jedes Mal ein ganz besonderes Erlebnis. Ganz im Kontrast zu den verschneiten Bergen zeigen sich die norditalienischen Seen, also der Comer See am Ausgang des Adda Tals, dahinter der Luganer See und der Lago Maggiore im kräftigen Azurblau. In den Tälern ist Ende April der Frühling schon im vollen Gange, Felder, Wiesen und Wälder sind bereits kräftig grün. Gerade diese Kontraste im Frühjahr machen die Flüge von Sondrio aus noch einmal mehr zu besonderen Erlebnissen.

Das Fliegen in den Bergen, insbesondere im hochalpinen Gelände übt auf mich seit jeher eine besondere Faszination aus. Während wir zu Hause von der Hahnweide aus vorwiegend thermische Aufwinde nutzen, kommen in den Alpen natürlich immer wieder der Hangwind dazu und eben sozusagen als Fortsetzung dazu eine Etage höher bei guten Wetterlagen die Wellenaufwinde, die einen bis an die Luftraumgrenzen, in manchen Gebieten bis 6000m Höhe emportragen. Der Einstieg in diese Wellenaufwinde, bei denen der Wind mit zunehmender Höhe stets stärker werdend aus der richtigen Richtung über die Berge wehen muss, gelingt ganz unterschiedlich. Mal ist es ganz leicht direkt aus einem Hangwind heraus, oder man steigt im Luv einer Wolke vorbei. Manchmal muss man aber auch etwas länger in turbulenter Luft mit Rotoren kämpfen, bis man in der Welle ist. Einmal drin ist es aber dann einfach nur noch herrlich! Es wird fast schlagartig ruhig, man kann die Geschwindigkeit nahe an die Minimalgeschwindigkeit reduzieren, das Flugzeug mit 2 Fingern steuern. Dann geht es nur noch aufwärts, mal recht langsam, mal so schnell, dass es in den Ohren knackst. Über eine Nasenkanüle atmet man Sauerstoff ein, die Sauerstoffflasche ist im Gepäckraum montiert. Im Frühjahr ist es da oben bitter kalt, -20 Grad und kälter. Solange die Sonne ins Cockpit scheint, ist das eigentlich problemlos, wenn man einigermaßen warm angezogen ist. Nur die Füße werden schnell kalt, hier helfen heizbare Fußsohlen und spezielle Überziehschuhe, dann friert man nicht und kann das, was einem in diesen Höhen geboten wird, vollends genießen. Sichten von „Pol zu Pol“, das gesamte Alpenpanorama liegt einem zu Füßen, die Wolken weit unter einem. Man fühlt sich großartig, die Glücksgefühle sind schwer zu beschreiben, man ist alleine da oben, es ist still, unterbrochen nur durch das leise konstante Piepsen des Varios und das regelmäßige Zischen beim Einatmen des Sauerstoffs. Oft fühlt man sich wie ein König! Eventuell hat man schon einen längeren Flug in turbulenter Luft hinter sich und jetzt ist man da oben. Wie weit könnte man jetzt gleiten? Mit Rückenwind können es mehrere hundert Kilometer sein. Bei Nordwestwind, wenn man zum Bsp am Matterhorn in der Welle ist, das sind dann rund 170km von Sondrio entfernt, zeigt der Rechner im Cockpit gerne mal über 1000m über Gleitpfad an, dann fliegt man in unter einer Stunde ohne einen Kreis zurück nach Sondrio.
Je erfahrener man mit Wellenflügen wird, desto leichter fällt es einem den Einstieg zu finden, und das Windsystem zu verstehen. Man lernt die Wolkenformen zu interpretieren und die Topographie so zu analysieren, dass man immer besser versteht, wo die Wellenaufwinde zu finden sind. Wie weit sie zum Bsp im Lee ,abhängig von der Windstärke, einer Gebirgskette zu suchen sind. Und dann fängt es langsam an richtig interessant zu werden. Denn eine der Königsdisziplinen im Segelflug ist mit Sicherheit der Wellenstreckensegelflug. Wenn man also von Wellenaufwind zu Wellenaufwind springt. Nahezu alle großen Streckenflüge werden unter Ausnutzung von Wellenaufwinden geflogen. Der große Vorteil dabei: man kann früh starten, im Extremfall zum Sonnenaufgang. Man muss nicht auf die Thermik warten, die erst am späten Vormittag einsetzt. Somit hat man den ganzen Tag zur Verfügung.
Natürlich ist es dann aber auch anstrengend, wenn man so lange fliegt, 10 Std und mehr sind bei den Leistungsfliegern keine Seltenheit. Ich bewundere immer die Piloten, die so lange konzentriert fliegen können.

Natürlich ist der Streckenflug in den Alpen auch anspruchsvoll, wo es Aufwinde gibt, gibt es auch Abwinde. Gerade bei den Wellenwetterlagen mit hohen Windgeschwindigkeiten ist man auch schnell mal in einem kräftigen Abwindgebiet. Dann benötigt man stets einen Plan B, also wo kann ich landen, wenn ich keine komfortable Höhe mehr habe. Von Sondrio aus gestartet kann man seine Flüge leicht so gestalten, dass man immer in Reichweite eines Flugplatzes ist. Trotzdem gibt es auch geeignete Außenlandefelder, mit denen man sich vorab mal beschäftigen muss. Was mich angeht, so lerne ich jedes Jahr dazu, lerne neue Routen kennen und erweitere meinen fliegerischen Horizont. Das finde ich sehr spannend.

Dieses Jahr hatten wir großes Glück mit dem Wetter. Es stellte sich für eine Woche eine konstante Nordlage ein, bei der sich die Bewölkung nördlich des Alpenhauptkamm staute und wir im Süden vom Nord-Föhn profitierten. Die Luftmasse war kalt, relativ feucht und schön labil, so dass wir einerseits von teils hervorragender Thermik, und andererseits von Hangwind und Welle profitieren konnten. Insgesamt konnten wir an 5 von 7 Tagen sehr gut fliegen. An 2 Tagen sind mir weite Streckenflüge bis nach Frankreich nach St. Crépin gelungen, wobei ich, was für mich neu war ,von Aosta bis zu den Ecrins und zurück im Wellensystem geflogen bin. Gut unterstützt wurde ich dabei vom LX-Navigationssystem LX9000. Einmal an der Monte Rosa vorbei gibt es bis westlich des Grand Paradiso zahlreiche Luftraumbeschränkungen zu beachten. Außerdem kann einem der Rechner beim Befliegen der Wellen sehr hilfreich sein. Die Flugspur im Display zeigt einem genau an wie weit man gegen den Wind vorhalten muss, um im besten Steigen der Welle zu bleiben. Und beim Rückflug kann man dann gezielt an Hand seiner aufgezeichneten Spur vom Hinweg die stationären Wellenaufwinde wieder anfliegen. Der Rückflug ist damit wesentlich entspannter als der Hinflug, wo man die Wellen erst suchen und finden muss.

Der letzte Flugtag unseres Urlaubs, der 20.04.24, war der spektakulärste. So gute Flugbedingungen hatte ich bis dahin noch nie erlebt! Das Wetter war schon Tage davor sehr gut vorhergesagt, der Nordwind war kräftig und setzte sich bis in bodennahe Schichten durch. Dadurch konnte man also schon vor dem Einsetzen der Thermik früh starten, den Hangwind ausnutzend. Als ich morgens um 07:00 Uhr den Glidertracker studierte, waren schon etliche Segelflieger der umgebenden Flugplätze in der Luft. Am Flugplatz in Caiolo/Sondrio geht es aber gemütlicher zu. Nur Günther Siebinger plante an diesem Tag einen Frühstart, was für ihn um 09:00 Uhr bedeutete. Das Frühstück bei Osvaldo beginnt erst um 08:00 Uhr, also alles ganz gemütlich. Aber dieses Mal beeilte ich mich dann doch mit Thomas , um möglichst schnell auf den Flugplatz zu kommen. Er half mir beim Aufbauen des Ventus und so kam auch ich schon um 10 Uhr in die Luft, so früh wie noch nie dort. Mein Plan war es zunächst so weit wie möglich in den Osten zu fliegen und dann, dass hatte ich mir fest vorgenommen, wieder nach St. Crépin in Frankreich und zurück. An diesem Tag klappte bei mir alles wie am Schnürchen. Die Hänge im Süden des Addatals trugen wie vorhergesagt bestens, ich konnte gleich auf 3000m steigen und dann ging es zügig nach Osten voran über den Aprica Pass zum Tonale Pass an der Adamello Gruppe entlang bis zum Sasso Rosso, wo ich wendete. Die Thermik war dabei schon gut entwickelt, bestimmt 3 Stunden früher als normalerweise in dieser Gegend. Südlich am Tonale vorbei zufliegen im Hangaufwind der Adamellogruppe ist ein Hochgenuss, gehört sie doch in dieser Gegend sicherlich zu einer der schönsten Gebirgszüge. Von dort aus führte mich mein Flugweg kombiniert mit Hang- und thermischen Aufwinden über den Comer See hinweg nach Locarno. Der Ausblick auf den Lago Maggiore war wie so oft, überwältigend! Die Sicht entlang des Alpenbogens war schier unendlich. Im Centovalli westlich Locarno habe ich gleich mehrmals in über 6 m/s thermisch gekurbelt, unglaublich! Schnell war ich an Domodossola vorbei und näherte mich auf der mir bekannten Standardroute der Monte Rosa. Hier, oder auch schon bei Domodossola kann man oft gut ins Wellensystem einsteigen, was mir aber nicht gleich gelungen ist. Dafür bildeten sich im Südwesten jetzt, es war erst 13 Uhr, erste kleine Cumuli mit ansprechend hoher Basis. Das motivierte mich ohne große Bedenken weiter nach Südwesten zu fliegen. Um diese Jahreszeit ist es thermisch nicht möglich nördlich des Grand Paradiso zu fliegen, es liegt einfach noch zu viel Schnee dort. Es geht entweder thermisch südlich vorbei oder man steigt in die Welle ein. Von dieser Richtung aus war das für mich noch Neuland. Zunächst zwingen einem die Lufträume unten zu bleiben, bis man am Grand Paradiso vorbei ist und dann gilt es die Welle zu finden. An diesem Tag half mir die hochreichende Thermik enorm, bereits an der ersten Wolke, ging es langsam vorbei nach oben, hier war der Wind noch relativ schwach. Je weiter ich nach Westen kam desto stärker wurde der Wind und auch die Wellenaufwinde. Und schon befand ich mich in der bekannten Wellen-Autobahn im Susatal. Der Roccia Melone spendete mir über 4m/s laminares Steigen und der Weiterflug war relativ einfach, weil die Steigzonen durch kleine Rotorwölckchen recht gut zu finden waren. So überquerte ich den Col de Montgenèvre nach Briancon und erreichte den uns bekannten Tête d´Amont. Dort zeigte mir ein anderer Segelflieger im Traffic Display ganz gut die Welle, die wesentlich weiter im Luv stand, als ich vermutet hatte. Der Wind wehte hier in 5000m Höhe fast genau aus Nord mit 100km/h und nur mit Hilfe des LX9000 konnte ich meine Position gegen den Wind im besten Steigen halten. Wenn ich zu langsam flog, flog ich über Grund rückwärts , was der Rechner tatsächlich mit einem Minuszeichen vor der Groundspeed anzeigt. Etwas südlich vom Mt Pelvoux an den Ecrins beschloss ich umzudrehen. Das Gebiet hier ist uns von unseren Sommerfluglagern in St. Crépin eigentlich bestens vertraut, aber ich musste feststellen, dass es im Frühjahr, wenn die hohen Berge noch tief verschneit sind, doch recht ungewohnt aussieht. Aber nicht minder schön! Nächstes Mal könnte ich vielleicht noch weiter zur Pic de Bure Welle fliegen, dachte ich mir. Aber ich wollte den Rückweg nicht gefährden, nachdem bis dahin alles so gut gelaufen war. Also ging es zurück Richtung Nord-Ost zunächst mit ordentlicher Gegenwindkomponente, die mich zwischen den Wellenaufwinden ganz gut Höhe kostete. Dank der aufgezeichneten Spur vom Hinweg fand ich die guten Steigzonen problemlos und so ging es wieder in der Susa-Tal-Wellenautobahn zügig voran bis zum Grand-Paradiso. Dort stieg ich dann bewusst ab, Höhe in Geschwindigkeit umsetzend, um die Lufträume im Aostatal zu beachten. Die Thermik war jetzt voll entwickelt mit 3/8 Cu in 3500m. Damit war die Talüberquerung leicht zu machen und auch der Weiterflug zur Monte Rosa verlief gut. So, und an dieser Stelle, es war 16:15 Uhr habe ich dann das erste Mal Bilanz gezogen, wie weit ich schon geflogen war, etwas über 700km waren es . Dann fing ich an zu rechnen und kam zu dem Ergebnis, dass der Tag gekommen war, an dem auch ich nach über 40 Jahren Segelflug zum ersten mal die 1000km knacken könnte. Also ging es wieder zurück nach Osten über die bestens bekannte Route über Locarno und Belinzona ins Addatal. Ich brauchte kaum zu kreisen, einerseits, weil die Thermik immer noch kräftg war und andererseits die Hänge gut trugen. Normalerweise wäre ich nach dem Ziel-Rückkehrflug gelandet. Nun hatte ich aber die 1000km im Visier und flog nochmal zum Tonale-Pass und zum selben Wendepunkt wie am Vormittag, dem Sasso Rosso. Wieder glitt ich jetzt in der Abendstimmung an der Adamellogruppe vorbei, herrlich! Der Rechner zeigte nun 800m über Gleitpfad und so genoss ich den über 50 km langen Endanflug nach Hause. Das Addatal zeigte sich in glasklarer Luft durch den föhnigen Nordwind. Und so landete ich nach 8 Std und 43 Min mit einem breiten Grinsen überglücklich wieder in Caiolo/Sondrio. Günther Siebinger landete eine Std später. Auch er hatte, für ihn zum wiederholten Mal, die 1000km überschritten. Was für ein Flug, kein Tag wie jeder andere. Es war eben nicht nur ein besonders weiter und mit 117km/h Durchschnitt besonders schneller, sondern vor allem ein unglaublich schöner, abwechslungsreicher Flug! Und wieder einmal wurde mir klar, dass der Ventus ein Traumflugzeug ist, bei dem einfach alles stimmt: Man sitzt sehr bequem, er ist leise, enorm wendig bei geringen Ruderkräften. Das hohe Gewicht des Eigenstarters stört nicht, im Gegenteil, er gleitet phantastisch und möchte schnell geflogen werden. Auch in der Thermik steigt er mindestens genauso gut wie leichtere Flugzeuge. Das macht richtig viel Spaß!

Als mir später die ersten Flieger gratulierten, sagte einer von Ihnen: „der erste 1000er ist immer der schönste“. Ich glaube da ist was dran!

Und so fuhren wir am Tag darauf, das Wetter hatte sich verschlechtert, wieder nach Hause. Natürlich haben wir uns schon wieder für das nächste Jahr für Sondrio verabredet. Es gibt bestimmt wieder Neues zu entdecken. Ich freu mich drauf.

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