Achtung wichtige Durchsage: Conny – Cornelia Schaich – ist Weltmeisterin 2022 in der Standardklasse! Da gibt’s was zu feiern im Sportflieger-Club Stuttgart! Wie schon 2008 – damals war Conny Deutsche Meisterin – und 2003 – da war sie das erste Mal Weltmeisterin.
Also treffen wir uns zu Speis‘ und Trank – und dann gibt’s Conny’s Bericht. Viele von uns haben beim Wettbewerb in Husband‘s Bosworth online mitgefiebert. Aber der Vortrag der Meisterin ist natürlich ein besonderes Erlebnis.

Conny berichtet:
In einem vorbereitenden Treffen der National Mannschaft wurde uns vom Meteorologen Walter Hermann das wahrscheinlich zu erwartende Wetter unter dem Schlagwort „Tiefdruckfriedhof“ vorgestellt. Das beinhaltete nach seiner Auswertung einiger August-Wettbewerbe schnell wechselndes Wetter, tiefe Basis, starken Wind, zerrissene, schlechte Thermik und kleine Strecken mit vielen Wendepunkten. Ich hatte unter diesen Voraussetzungen ehrlich gesagt nicht so richtig große Lust auf eine Reise ins „Thermik-Eldorado“ England, entschloss mich aber dann doch, diese Erfahrung zu wagen.


Das Wetter sollte uns dieses Jahr aber alle überraschen. Ein mächtiges Hoch brachte die sommerliche Hitze bis ins Königreich und damit auch wirklich ansprechende Thermik in unserer Trainingswoche. Wir konnten schöne Erkundungsflüge in alle Richtungen machen, ohne ein Außenlanderisiko einzugehen.


Nie vorher habe ich erlebt, dass eine Frauen WM so intensiv für Öffentlichkeitsarbeit und Werbung für die Fliegerei genutzt wurde. Schon die Eröffnungsveranstaltung wurde nicht auf dem Flugplatz, sondern in den beiden Nachbarstädten abgehalten.


Market Harborough und Lutterworth liegen jeweils in ca. 10 km Entfernung zum kleinen Örtchen Husbands Bosworth und konnten als Unterstützer der WM gewonnen werden. Ein Marsch der Teams durch die Fußgängerzone, ein lokaler Radiosender und ein kleiner Jahrmarkt mit Flugsimulator halfen, die Aufmerksamkeit des Publikums zu erregen.


Der erste Wettbewerbstag brachte uns dann ein absolutes Rekordwetter, das Beste, was die Engländer seit 1976 erlebt haben. Die Task Setter dachten sich ein 3,5h AAT für die 18m- und die Standardklasse aus. Der nordwestliche AAT-Sektor lag in Wales, wo man nur sehr selten hinfliegen kann, toll! Alle waren in der Luft, die Startlinien offen, als Katrin funkte, die 18m-Klasse geht jetzt los. Das war für uns Standard-Mädels die perfekte Gelegenheit, mitzugehen. Ich konnte einige Bärte lang mit den schnelleren 18ern mithalten und sie kurz vor der ersten Wende aufgrund eines überdurchschnittlichen Bartes nochmal fast einholen.

Der Flug lief so unglaublich gut, bei fast 3000m Basis hat man jede Menge Spielraum. Nur auf die sehr komplexen Lufträume musste man höllisch aufpassen. Lange Gleitstrecken unter Wolken wechselten mit 4m-Bärten ab. Ich musste die letzten 3 Sektoren ganz bis zum Maximum ausfliegen, um nicht zu früh zurück zu sein.

Und dann hatte ich den Tagessieg, 460 km mit einem Schnitt von 134 km/h. Katrin und Steffi konnten die ersten beiden Plätze in ihrer Klasse mit 142 km/h und nur einem Punkt Differenz feiern.
So früh als Favorit gehandelt zu werden, erzeugt schon etwas Druck, aber ich blieb gelassen. Durch den Gewinn der DMF in Landau im Frühjahr hatte ich mental noch recht viel Rückenwind. Mich hat einfach nichts geärgert oder nervös gemacht. Die ruhige Stimme von unserem Teamcaptain Bernd Schmid, der uns hervorragend mit Infos versorgt hat, hat dabei auch sehr geholfen.
Leider war jetzt die Superwetter-Periode beendet.

Ein paar neutralisierte Tage und kleinere Aufgaben mit auch mal nur 50er Schnitten folgten. Mal waren die Französinnen vorne, mal die Tschechinnen, aber jede Nation hatte auch mal einen schlechteren Tag. Aude Untersee (F) übernahm kurzzeitig die Gesamtführung in der Standardklasse.
Am mittleren Wochenende wurde ein großer Parkplatz abgesperrt und die Zugänge zum Flugplatz gesichert. Es rollten Buden und Schausteller an, da jetzt für zwei Tage ein Family Day veranstaltet wurde. Besucher konnten so die Weltmeisterschaft hautnah erleben und sich durch die große Leinwand mit einem Sprecher über die Geschehnisse informieren lassen. Zusätzlich wurden ihnen auch andere attraktive Unterhaltung geboten, die von vielen Familien mit ihren Kindern gerne wahrgenommen wurden.


Am siebten Tag haben wir eine kuriose Situation erlebt. Der gesamte Wettbewerb bis auf 2 Pilotinnen musste wieder landen. Es herrschte eine ganze Zeit lang heilloses Chaos, an Wiederstart war nicht zu denken. Die Clubklasse wurde nach einer Weile neutralisiert
.

Die beiden anderen Klassen, die in der Landereihenfolge in Zweierreihen standen, wurden aufgefordert, sich klassenweise in 3er-Reihen entsprechend der morgendlichen „Grid-Order“ neu aufzustellen – nochmal Chaos. Dann gab es neue Aufgaben mit Mindeststrecke in die andere Richtung, sozusagen alles zurück auf Los um 15:00 Uhr. Für uns lief es gut, das Standard-Treppchen war komplett in deutscher Hand und ich konnte die Führung in der Gesamtwertung zurückholen.

Am 8. Tag gab’s wieder eine größere AAT, bei der man die große Bucht „The Wash“ in die Routenplanung einkalkulieren musste.

Wir legten uns zusammen mit dem Bodenteam einen Plan zurecht.

Nach dem Abflug waren die Tschechinnen und Aude (F) bei uns. Aude nahm einen Weg eher westlich, während die CZ-Ladies unseren Plan teilten und östlicher blieben. Wir entschieden uns, mit ihnen zu gehen und der Plan ging auf, Jana Veprekova gewann den Tag vor Sabrina, Chrissi und mir.
Am 9. Tag wurde die Clubklasse schon morgens neutralisiert, obwohl sie einen WT weniger hatte. Da sah man einige befremdete Gesichter.
Ein entscheidender Tag für die deutsche Standardklasse war der 10. Wertungstag. Wir hatten Markerabflug mit 5 min Wartezeit. Als ich sah, dass viele abflogen, hatte ich den Event Marker noch nicht gesetzt und musste noch 5 min warten. Das ganze Feld war unterwegs und es ging nichts mehr am Platz, überall nur Saufen. Es waren sehr schwierige Bedingungen und leider mussten einige schon früh außenlanden. Dieses Schicksal traf auch Chrissi, Sabrina konnte sich noch retten und zu den anderen wieder aufschließen. Auch Katrin ereilte das frühe Schicksal, sie musste den Motor nehmen und Steffi alleinlassen. Ich selbst hatte am Anfang noch Glück, war dann aber vor der letzten Wende nur noch 250m GND, so dass ich mich schon auf dem Acker sitzen sah. Die Aufmunterung von Sabrina über Funk veranlasste mich, nochmal über einem Industriegebiet zu suchen und tatsächlich ging es wieder aus dem Keller raus und zu einem weiteren Tagessieg.
An diesem für Standard und 18 m so einschneidenden Tag standen Ines und Ulrike (Clubklasse), denen der Wettbewerb bis jetzt nicht so optimal gelaufen war, gemeinsam auf dem Tagespodium.


Die Spannung stieg, noch drei mögliche Tage, ich lag in Führung, der Abstand war einigermaßen beruhigend. Es kamen viele aufmunternde Worte von zuhause. Ein Tag wurde neutralisiert, dann auch der zweite. Für den letzten möglichen Wettbewerbstag waren aber nochmal vernünftige Bedingungen angesagt, obwohl wir die feuchte Schicht im Kondensationsniveau mit Skepsis betrachteten. Wir verständigten uns in der Standard-Klasse darauf, die beiden ersten Plätze gemeinsam abzusichern, anstatt uns gegenseitig anzugreifen. In der Clubklasse war Platz 3 in Reichweite. Zum Glück gab’s nochmal eine AAT als Aufgabe, denn die Thermik pulsierte stark, mal ging es gut, dann wieder machte es komplett zu. Wir drei flogen zusammen ab und wendeten im ersten Sektor recht weit im Westen, wo auch die Französinnen und Tschechinnen gewendet hatten, obwohl die Mindestzeit schon nicht mehr zu schaffen war. Dann machte der Himmel komplett zu und es ging nur noch ums Heimkommen. Alle 3 Klassen kämpften zusammen um 0,1-er Bärte. Im letzten Bart war fast der ganze Wettbewerb zusammen. „Wenn er uns nicht heimbringt und alle außenlanden, reicht’s mir zum Sieg“, dachte ich. „Nur – wenn es dann doch ein oder zwei schaffen?“ 3 km vor mir hatte Steffi ein Fleckchen Sonne angeflogen und meldete +0,2, während ich selber inzwischen -0,1 hatte. Ich riskierte den Wechsel, der Bart entwickelte sich, Jubel im Cockpit und mit einem vierten Tagessieg holte ich den Titel. Auch Sabrina konnte ihren 2. Platz halten


Ein spannendes Ende gab es noch in der Clubklasse, Ines zitterte bis zuletzt und schaffte noch den Sprung auf’s Podium mit nur einem Punkt Rückstand auf den zweiten Platz. Durch die Summe dieser Tagesleistung holte unser Team Germany die fehlenden Punkte, um auch noch den Team Cup zugewinnen.

Auch die Abschlussfeier wurde zum öffentlichen Event. Eine Feuerwerksshow der Gruppe Aerosparx stand im Mittelpunkt.

Mit zwei bunt beleuchteten Motorseglern G109 flogen sie zuerst in der Dämmerung Kreise über dem Flugplatz. Als es schon fast dunkel wurde, legten sie plötzlich los. In Formation flogen sie enge Kreise und Loopings, dabei wurden Feuerwerkskörper aus ihren Tragflächen nach vorn und hinten abgeschossen. Das Ganze kombinierten sie dann auch noch mit einem Raketen-Feuerwerk vom Boden aus. Eine beeindruckende Show, die alle Besucher in ihren Bann zog.


Natürlich gab es auch dieses Mal wieder einen Babayaga-Abend, wie es Tradition bei den internationalen Frauenmeisterschaften ist. Die Neulinge werden feierlich in den Kreis der „Hexen“ aufgenommen.


Es war eine schöne, gut organisierte Weltmeisterschaft, bei der die „Offiziellen“ immer gute Laune und den bekannten englischen Humor ausstrahlten. Auch im deutschen Team hatten wir Spaß und gute Stimmung, die wir nicht unwesentlich unseren unermüdlichen

Rückholern sowie unseren Coaches Bernd Schmid und Charlie Bauder zu verdanken haben. Für mich persönlich war diese WM mit 4 von 8 möglichen Tagessiegen der erfolgreichste Wettbewerb, den ich je geflogen bin.

Als Dankeschön für den spannenden Bericht gab’s einen Blumenstrauß vom Verein und in fröhlicher Runde die Bewunderung des Pokals. Es ist ein Wanderpokal – und jede Gewinnerin wird mit Namen und Jahr eingraviert. Wir sind ganz schön stolz, eine Weltmeisterin im Verein zu haben – und jetzt auch noch mehrfache Weltmeisterin!

Text: Cornelia Schaich, woki

Bilder: Cornelia und Thomas Schaich, Georgia Schoffield, Christine Grote, Bernhard Pfau, woki

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